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Was ist Nebel?
Nebel ist eigentlich nichts anderes als eine Wolke, die sehr nah über dem Boden hängt. Er entsteht, wenn die Temperatur der Luft und der Taupunkt fast gleich sind. Nebel kommt in fast allen Regenwäldern der Ostküste Madagaskars vor. Andere Chamäleon-Habitate wie der Nordwesten, der Westen und Süden Madagaskars sind deutlich nebelärmer. Einige verfügen sogar nur tageweise über irgendeine Form von Niederschlag (z.B. der extreme Süden), einige über so gut wie keinen Nebel oder Tau das ganze Jahr über. Es kommen also nicht alle Chamäleons Madagaskars regelmäßig oder überhaupt mit Nebel in Kontakt – es kommt ganz darauf an, wo sich ihr Lebensraum befindet.
Künstlich kann Nebel erzeugt werden, indem man gezielt Luft mit Wasser übersättigt oder Wasser sehr fein versprüht. Der folgende Artikel soll beleuchten, wo die Unterschiede zwischen Nebel im Habitat sowie künstlich erzeugtem Nebel im Terrarium liegen und mit welchen Risiken Nebler behaftet sein können.
Tröpfchengrößen
Nebel, wie er auf Madagaskar oder woanders auf der Welt natürlicherweise vorkommt, hat eine durchschnittliche Tröpfchengröße von 5 bis 50 µm. Leicht nässender Nebel liegt dabei am unteren Rand mit einer Tröpfchengröße von 5 bi 10 µm. Bei dichtem nässendem Nebel (klassisch im Regenwald) schwankt die Tröpfchengröße zwischen 10 und 20 µm, bei stark nässendem Nebel (auch dieser ist in Regenwäldern zu finden) sogar bis zu 50 µm. Letzeres entspricht in etwa der Größe von Tautropfen.
In der Humanmedizin wird bei der Tröpfchengröße zwischen „respirable“ und „non-respirable“ unterschieden. Man meint damit, welche Tröpfchengröße in die Lunge gelangen kann und welche nicht. Einatmen bis in die Lunge kann man als Mensch Nebel ab einer Tröpfchengröße von 5 µm, tief bis in die kleinen Alveolen der Lunge gelangen aber nur kleinere Tröpfchen mit nur 1 bis 3 µm. Für Reptilien, insbesondere Chamäleons, gibt es derzeit keine vergleichbaren Werte. Im Analogieschluss kann man aber – bis entsprechende Studien bei Chamäleons vorliegen – davon ausgehen, dass ähnliche Werte gelten könnten. Kurz gefasst: Je kleiner ein Tropfen, desto tiefer gelangt er in die Lunge.
Bei vielen Neblern, die für den Terraristikbedarf angeboten werden, gibt der Hersteller nicht an, welche Tröpfchengröße der angebotene Nebler tatsächlich abgibt. Für den medizinischen Bereich hergestellte Nebler (die teurer in der Anschaffung sind, aber eine Desinfektion direkt im Gerät mit anbieten – siehe nächster Abschnitt), sorgen für Tröpfchengrößen zwischen 0,8 und 5 µm. Diese Tröpfchengröße liegt weit unter der natürlichen Nebels im Regenwald auf Madagaskar, hat also mit der Imitation „natürlicher“ Gegebenheiten im Terrarium nur wenig zu tun. Möchte man natürlichen Nebel imitieren, kann man stattdessen Beregnungsdüsen mit passender, größerer Tröpfchengröße verwenden.
Besiedlung durch Bakterien, Reinigung und Desinfektion
Bakterien sind grundsätzlich überall, sie bewohnen alle Oberflächen in und außerhalb des Terrariums, auch die Haut von Chamäleons und uns Menschen. Selbst sterilisiertes (= alle Keime wurden abgetötet) Material wird in nicht-steriler Umgebung direkt wieder von Bakterien besiedelt. In Terrarien ist der Keimdruck allein durch den begrenzten Lebensraum des Chamäleons in aller Regel deutlich höher als der im natürlichen Lebensraum.
Viele Nebler aus dem Zoohandel, meist recht kostengünstig für unter 100 € zu erwerben, sind nicht in alle Bestandteile zerlegbar. Etliche Teile sind dadurch schlecht oder überhaupt nicht gründlich zu reinigen (allen voran Schläuche), so dass immer mikroskopisch kleine Reste überbleiben, die natürlich auch Bakterien enthalten. Einige Bakterien können dazu noch Schleimfilme bilden, die sie vor der Entfernung beim Durchspülen schützen.
Nebler wurden und werden in der Terraristik gerne als „Keimschleuder“ bezeichnet, da die Kombination von Wärme und Feuchtigkeit im Terrarium für ein besonders gutes Bakterienwachstum sorgt und die schlechte Reinigungsmöglichkeit vieler kostengünstiger Geräte dazu führt, dass diese Bakterien direkt aus dem Nebler in die Lunge des Chamäleons gepustet werden.
Bei Ultraschallverneblern und anderen im Humanbereich genutzten Verneblern, die in aller Regel deutlich kostenintensiver sind, werden Bakterien bereits im Gerät selbst reduziert. Steril wird es dadurch nicht. Damit ist das Problem der „Keimschleuder“ verringert. Unberührt bleibt jedoch das Problem, dass die winzigen Tröpfchen im Terrarium auf dem Weg vom Nebler bis in die Chamäleonlunge Bakterien und andere Partikel auf- und mitnehmen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, ist im Terrarium im Vergleich zum natürlichen Lebensraum ungleich höher. Hier kommt auch noch einmal die Tröpfchengröße ins Spiel: Je kleiner ein Tropfen, desto höher die Aufnahmemöglichkeit von Bakterien (und anderen Partikeln) aus der Umgebung.
Einfluss der Temperatur auf Bakterien
Seit einiger Zeit kursiert unter Chamäleonhaltern die Idee, man müsse Nebler nur nachts benutzen. Auf Grund des nächtlichen Temperaturabfalls in der Haltung vieler Arten würden Bakterien sich nachts nicht mehr vermehren können, das „Keimschleuder“-Problem wäre also gelöst. Leider sind viele der bei Atemwegserkrankungen von Chamäleons beteiligten Keime jedoch solche, die sich auch bei niedrigen Temperaturen hervorragend vermehren können. Pseudomonas aeruginosa beispielsweise, ein sehr häufig an Pneumonien (Lungenentzündungen) beteiligtes Bakterium, ist sogar als „Kühlschrankkeim“ bekannt und vermehrt sich bei 15°C ungestört. Selbst bei 5°C – das erreicht kaum ein Chamäleonterrarium nachts – können sich Pseudomonaden noch vermehren, wenn auch langsam. Und dazu gilt zu bedenken: Nicht jedes Chamäleon sollte einen nächtlichen Temperaturabfall bis auf 10-15°C haben. Beispielsweise Pantherchamäleons aus Ambanja oder Ambilobe erleben diese Temperaturen selbst in der kühlen Trockenzeit in ihrem natürlichen Lebensraum nicht.
Aufbau der Chamäleonlunge
Chamäleons haben eine sehr spezielle Lungenanatomie: Ihre Lungen sind große, hohle Räume mit weiteren sackartigen Ausbuchtungen (Luftsäcke) und bestehen nicht wie bei Säugern aus einem dichten Gewebe von Bronchien und Alveolen. Durch die sackartige Form, die filigranen, extrem dünnen Membranen und wenig Elastizität ist die Chamäleonlunge leider anfällig gegenüber bakteriellen Infektionen. Die Tiere können außerdem (da kein Zwerchfell vorhanden ist) nicht husten, was ihnen die Möglichkeit verwehrt, in den Luftsäcken befindliche Flüssigkeit oder Schleim über die Luftröhre nach oben zu transportieren.
Das gelegentlich erwähnte Regurgitieren, bei dem die Tiere kopfüber Schleim aus dem Maul würgen, hat nichts mit der Lunge oder gar einem hustenähnlichen Verhalten zu tun. Beim Regurgitieren wird Schleim, gerne mit ungenießbaren Futterbestandteilen, aus dem Magen durch die Speiseröhre hinaus befördert. Man kann dies relativ leicht testen, indem man eine kleine Menge des Schleims unters Mikroskop legt: Es lassen sich darin kleine Futtertierreste und auch vereinzelt Magenwandepithelien finden.
Nebler in der Chamäleonmedizin
Nach wie vor gibt es viele Chamäleonpatienten in Tierarztpraxen, die wegen Atemwegserkrankungen, allen voran Pneumonien (Lungenentzündungen), vorgestellt werden. Bei diesen Erkrankungen spielt ein in seiner Funktion stark eingeschränktes Immunsystems durch mangelhafte Haltung eine große Rolle. Nebler sind gerne und häufig Teil der Terrarieneinrichtung der betroffenen Patienten. Lungenerkrankungen bedürfen bei Chamäleons langwieriger Behandlung und enden nicht selten tödlich.
Nebler (oder vielmehr Inhalatoren) werden allerdings auch therapeutisch in der Tiermedizin eingesetzt. Man will damit Wirkstoffe wie Antibiotika oder Antimykotika (Mittel gegen Bakterien und Pilze) direkt an ihren Wirkort bringen, bei einer Pneumonie also in die sackartige Lunge. Hier nutzt man die geringe Tröpfchengröße, um einen Wirkstoff direkt an den Ort der Erkrankung zu bringen. Allerdings gibt es selbst in der Humanmedizin, wo bei Weitem hygienischere Bedingungen herrschen als im durchschnittlichen Terrarium, immer wieder Probleme mit sehr resistenten bakteriellen Verunreinigungen der genutzten Geräte.
Wasserversorgung
Ob und wie Nebel tatsächlich eine essentielle Rolle für die Wasserversorgung von Chamäleons spielt, wird viel diskutiert. Die Anatomie von Chamäleons und ihr Verhalten lassen allerdings vermuten, dass die Wasserversorgung wie bei anderen Reptilien auch vorwiegend über die Aufnahme mit dem Maul erfolgt. Es gibt spannende Studien zur Mikroornamentation bei Chamäleons und anderen Reptilien, die für jede Art einen bestimmten Aufbau der Schuppenoberfläche unter dem Mikroskop nachweist. Für einige Reptilien wurde dabei schon gezeigt, dass die Strukturen auf und zwischen den Schuppen bei der Wasserversorgung nützlich sind. Wasser wird dabei gezielt in Richtung der Nase und der Maulwinkel geleitet, wo es dann aufgenommen und abgeschluckt werden kann.
Wir beobachten auf Madagaskar zudem jedes Jahr, dass Chamäleons bei intensivem Regen nach einigen Minuten aktiv zu trinken beginnen. Dieses Verhalten lässt sich auch im Terrarium auslösen, indem man Regenanlagen länger laufen lässt oder per Hand intensiver sprüht. Bei Nebel alleine haben wir dieses Verhalten noch nicht beobachtet, wenngleich die Kondensation von Wassertropfen bei Nebel durch wahrscheinlich vorhandene Mikroornamentation ebenfalls zu Wasseraufnahme führen könnte. Dass Chamäleons Wasser in signifikanter Menge über die Lunge aufnehmen oder ihren Wasserhaushalt vorwiegend über die Lunge regulieren, ist dagegen sehr unwahrscheinlich.
Unsere persönliche Meinung
Wir empfehlen Nebler ausdrücklich nicht für die Anwendung in der Chamäleonhaltung. Unsere Erfahrungen in der langjährigen Haltung sowie die Erfahrung in der Tierarztpraxis stellen für uns das Risiko weit über den Nutzen von Neblern im Chamäleonterrarium. Dazu kommt, dass der einzige Zweck des Neblers – die Wasserversorgung – in unseren Augen problemlos mit anderen, deutlich risikoärmeren Mitteln wie Beregnungsanlagen, Tropftränken oder Sprühen per Hand erreicht werden kann.