Was ist Stress?

Steigt man in die Chamäleonhaltung ein, wird man über kurz oder lang mit einem Wort sehr innige Bekanntschaft schließen: Stress. Egal, ob man sich mit Gleichgesinnten auf einer Tagung oder Börse unterhält, oder ob man in sozialen Netzwerken unterwegs ist: Chamäleons scheinen extrem empfindlich zu sein, was Stress angeht. Es wird gewarnt, man dürfe die Tiere nicht transportieren, ihre Terrarien-Einrichtung nicht austauschen, nicht im Terrarium hantieren, die Tiere nicht mit Wasser ansprühen – die Begründung lautet stets: „Das ist zu viel Stress für das Tier“ und „Stress macht krank“. Aber was genau ist eigentlich „Stress“? Und was macht Stress bei einem Chamäleon?

 

Allgemein versteht man unter Stress eine „adaptive Antwort des Körpers auf Bedrohungen, die Gesundheit und/oder Überleben des Tieres gefährden“.

Stress ist also nicht per se schlecht, sondern lebensnotwendig. Auslöser von Stress können interne und externe Faktoren sein. Zu letzteren zählen Temperatur, Licht, Fütterung und Unterbringung – also vereinfacht gesagt vor allem das Terrarium und die Pflege des Chamäleons. Aber nicht nur die können Stress-Auslöser sein, sondern auch Pilzsporen, Viren, Bakterien und soziale Interaktionen mit Artgenossen oder artfremden Individuen. Zu den internen Stress-Auslösern zählen genetische Prädispositionen, das Alter des Chamäleons, sein Geschlecht, Wachstum, sein Reproduktionsstatus, aber auch Häutungen und aktueller Gesundheitszustand.

Was ist jetzt also Stress? Stress ist die Antwort des Körpers auf all diese Gegebenheiten. Das ist, zugegebenermaßen, eine eher unbefriedigende Aussage. Schließlich reagiert der Körper den lieben langen Tag auf alle möglichen Einflussfaktoren, und ist selbst sogar ein Ergebnis derselben. Man könnte also sagen „Das ganze Leben ist Stress“ – und das wäre definitionsgemäß völlig richtig.

Furcifer timoni, female, Montagne d'Ambre, 2019

Colouring of an already pregnant Furcifer timoni female on sighting a male – also a form of stress

Tatsächlich ist in der Chamäleonhaltung, wenn von Stress die Rede ist, meist überhaupt nicht die tägliche Auseinandersetzung des Körpers eines Chamäleons mit seiner Umgebung und sich selbst gemeint. Vielmehr meinen die meisten Halter damit negative Konsequenzen, die sich aus nicht artgerechter Haltung oder nicht artgerechtem Handling für ein Chamäleon ergeben – meist Erkrankungen.

Nun ist es absolut korrekt, dass irgendeiner dieser vielen, vielen Stimuli, die in Stress resultieren, auch ein Chamäleon krank machen kann. Nicht artgerechte Haltung beispielsweise kann zu dauerhafter Immunsuppression führen und dadurch eine Erkrankung, die der Körper sonst problemlos abgewehrt hätte, begünstigen. Doch Stress macht eben nicht immer krank. Denn es ist definitionsgemäß auch Stress, dass ein Chamäleon sich bei kühleren Temperaturen nur langsamer bewegen kann. Oder dass ein Chamäleon in jüngeren Jahren mehr fressen muss als im Alter. Aber das alles ist völlig normal.

Stress, also die Antwort des Körpers auf seine Umgebung, ist also in erster Linie überhaupt kein Problem. Es ist ein Bewältigungsmechanismus. Dieser ist allerdings irgendwann ausgereizt, der Körper „kann nicht mehr“. Und hier kommt das ins Spiel, was man unter dem Begriff „Stress“ in der Terraristik oft im Kopf hat: Die Stress-Auslöser können nicht mehr bewältigt werden, und es kommt zu einer massiven körperlichen Belastung.

Pantherchamäleon_Aszites_Pneumonie

Ein höchst gestresstes Furcifer pardalis – es hat eine schwere Peritonitis und ist todkrank

Ein Beispiel dafür wäre ein Chamäleon, dass ein nicht artgerechtes Terrarium mit Brunnen, ohne Pflanzen oder Belüftungsflächen, dafür aber Sparlampen, bewohnt, und regelmäßig Ausgang ins Wohnzimmer hat. Erstmal wird diese Kombination eine gewisse Zeit vermeintlich gut gehen. Der Körper des Chamäleons kommt mit dem UVB-Mangel, zu niedriger Luftfeuchtigkeit, ein paar Unfällen beim Klettern an der Gardine oder durch den heimischen Stubentiger, noch einigermaßen zurecht. Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die Immunsuppression zu lange dauert, an dem die Lunge sich gegen die seit jeher existierenden Bakterien und Pilzsporen nicht mehr wehren kann, an dem die Haut ihre Barrierefunktion auf Grund des ständig herunter gedrückten Immunsystem nicht mehr wie sonst aufrecht erhalten kann, an der Körper Kalzium aus den Knochen heraus mobilisiert, um den Mangel im Blut durch die fehlende UVB-Beleuchtung und damit nicht gebildetes Vitamin D3 auszugleichen. Und nun wird das Chamäleon krank.

Hat aber nun Stress dieses Chamäleon krank gemacht? Nur indirekt. Die überflutende vielen Auslöser, die zu Stress führen, waren Auslöser der Erkrankung. In diesem Beispiel also: Die vielen Faktoren der nicht artgerechten Haltung.

Wird von „Stress“ gesprochen, sollte man also erklären, was genau damit gemeint ist – also darlegen, was die Auslöser für den Körper des Chamäleons sind, so zu reagieren, dass es sich negativ auf das Tier auswirkt. Sonst bleibt „Stress“ einfach ein Überbegriff für die Antwort auf jegliche innere und äußere Faktoren, die ein Chamäleon in irgendeiner Form beeinflussen können – also quasi alles.

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