Chamäleonfutter

Was fressen Chamäleons eigentlich auf Madagaskar? So richtig gut wurde das noch nicht untersucht. Dieser Artikel soll den aktuellen Stand von Forschung und Beobachtungen zur Nahrung von Chamäleons auf der roten Insel zusammenfassen.

Die Nahrungssuche

Chamäleons wurden über Jahrzehnte für klassische Lauerjäger gehalten. Damit bezeichnet man Tiere, die an einer Stelle verharrend auf Beutetiere warten. Daher stammt auch die englische Bezeichnung sit and wait predator, zu Deutsch „sitzender und wartender Beutegreifer“. Die Beutetiere laufen zufällig vorbei und werden völlig überraschend von der Chamäleonzunge geschossen. Lauerjäger sparen viel Energie, die andere Tiere für die aktive Jagd aufwenden müssen.

Die Zoologin Marguerite Butler, aktuell tätig an der Universität von Hawaii (USA), schlug 2005 vor, Chamäleons anders einzuordnen. Sie untersuchte Chamäleons in Südafrika und fand dabei heraus, dass diese sich nicht eindeutig lauernd verhielten. Wie madagassische Chamäleons bewegten die südafrikanischen Tiere sich langsam, aber kontinuierlich durchs Geäst. Zwischendurch hielten die Chamäleons immer wieder an, beobachteten die Umgebung und schossen gegebenenfalls ein Futtertier. Butler schlug vor, die Lauerjäger in Untergruppen zu unterteilen und Chamäleons als cruise forager zu bezeichnen. Auf Deutsch bedeutet das so viel wie „Beutegreifer mit einer gewissen Geschwindigkeit“. Damit grenzt man das Verhalten bei der Futtersuche von Chamäleons gegenüber den echten Lauerjägern ab, die tatsächlich nur auf einer Stelle sitzen und auf ihre Beute warten.

Die Nahrungsaufnahme

Chamäleons nutzen zwei verschiedene Vorgehen beim Beutefang. Eine Variante ist der charakteristische Zungenschuss, bei dem die Zunge blitzschnell aus dem Maul herausgeschleudert und samt gefangenem Beutetier wieder zurückgezogen wird. Eine zweite Variante ist die direkte Aufnahme von Futter. Das Chamäleon nähert sich dabei seiner Beute langsam. Dann streckt es die Zungenspitze nur minimal aus und nimmt die Beute direkt mit dem Maul auf, ohne mit der Zunge zu schießen.

Ein Pantherchamäleon auf Madagaskar schießt mit seiner Zunge auf eine Heuschrecke

Die Nahrung

Chamäleons sind grundsätzlich insektivor, das heißt sie ernähren sich von Insekten. Eigentlich würde bei Chamäleons auch invertivor passen, da madagassische Chamäleons sich nicht nur von Insekten, sondern auch anderen Wirbellosen wie Spinnen ernähren. Die Auswahl potenzieller Futtertiere ist auf Madagaskar nahezu unerschöpflich groß. Je nachdem, ob eine Chamäleonart Baum bewohnend ist oder nahe bzw. auf dem Erdboden lebt, kommen unterschiedliche Wirbellose als Futter in Frage.

Insekten und Arachniden

Studien und Beobachtungen zum Futter madagassischer Chamäleons gibt es bisher nur wenige. Der Biologe Nicolà Lutzmann hat für seine 2006 veröffentlichte Dissertation unter anderem den Kot von Furcifer pardalis, Calumma radamanus, Calumma cucullatum sowie den Erdchamäleons Brookesia superciliaris und Brookesia peyrierasi auf der Masoala-Halbinsel im Nordosten Madagaskars untersucht. Im Kot konnte er Teile der verschiedenen Wirbellosen finden und grob identifizieren. Die Studie gibt einen guten Eindruck davon, welche Vielfalt Chamäleons an Nahrung verwenden und welch große Artunterschiede im Futter bestehen können.

Nahrungsspektrum von Furcifer pardalis in Masoala

Eine einzelne Kotprobe fiel bei den Pantherchamäleons stark aus dem Rahmen. Sie enthielt Teile von 50 verschiedenen Insekten und Arachniden, wovon ganze 92% Fliegen und Mücken waren. Wäre diese Probe ausgenommen worden, lägen die Käfer prozentual an erster Stelle der durchschnittlich verzehrten Futtertiere. Die Probe lässt aber die Frage offen, ob einzelne Chamäleons sich auf bestimmte Futtertiere spezialisieren – und was genau sie dazu bringen könnte.

Nahrungsspektrum von Calumma cucullatum in Masoala

 

Bei Calumma cucullatum fielen bei den Hautflüglern (Hymenoptera) vor allem Ameisen ins Gewicht. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, weil Calumma cucullatum zu den größeren Chamäleons zählt. Man würde auf den ersten Blick nicht vermuten, dass sich diese Art mit im Verhältnis so winzigen Futtertieren abgibt. Erdchamäleons dagegen kann man auf Madagaskar regelmäßig beim Verzehr von Ameisen beobachten. 2019 konnten wir an einem teils zerstörten Ameisennest im Montagne d’Ambre beobachten, wie mehrere Brookesia tuberculata sich direkt darüber eingefunden hatten. Die kleinen Chamäleons schossen mehrfach Ameisen, die gerade damit beschäftigt waren, Ameiseneier aus dem zerstörten Nest zu einem neuen zu tragen.

Das zerstörte Ameisennest im Montagne d’Ambre. Während Ameisen fleißig Eier weg transportieren, werden etliche zum Futter für Brookesia tuberculata.

 

Nahrungsspektrum von Brookesia peyrierasi in Masoala

Nahrungsspektrum von Brookesia superciliaris in Masoala

Bereits im relativ kleinen Probenpool von 54 Kotproben lassen sich in der Studie von Lutzmann Unterschiede im Nahrungsspektrum zwischen verschiedenen Chamäleonarten feststellen. Vermutlich kann man die Ergebnisse daher nicht einfach auf andere Arten in anderen Regionen Madagaskars übertragen. Dazu dürften die genutzten Futtertiere einer Saisonalität unterliegen: In der Regenzeit ist das Angebot an Insekten und Spinnentieren auf Madagaskar besonders gut. Daher nehmen Chamäleons in der Regenzeit wahrscheinlich wesentlich mehr Futtertiere zu sich und können aussuchen, welche besonders attraktiv sind. In der Trockenzeit wird gefressen, was da ist – im Süden und Westen Madagaskars ist das nicht mehr besonders viel. Im zentralen und südlichen Hochland Madagaskars fallen uns gegen Ende der Regenzeit jedes Jahr wieder hohe Zahlen kleiner Kegelkopfschrecken auf. Sie werden von Furcifer lateralis, Furcifer minor und Furcifer oustaleti, aber auch von Calumma amber und Calumma ambreense, Furcifer viridis und Furcifer pardalis sehr regelmäßig geschossen. In der Trockenzeit sind diese Heuschrecken jedoch nicht mehr in so großer Zahl verfügbar.

Möglicherweise spielt auch das Alter bzw. Gewicht der Chamäleons eine Rolle: Größere Chamäleons können größere Insekten erbeuten als kleine. Allerdings hat die oben genannte Studie mehrheitlich Futtertiere mit geschätzten Gesamtlängen von drei bis elf Millimeter zu Tage befördert. Nur bei Furcifer pardalis und Brookesia superciliaris konnten einzelne Futtertiere über drei Zentimeter Gesamtlänge gefunden werden. Das würde bedeuten, dass Chamäleons wahrscheinlich generell eher viele kleine als wenige große Futtertiere erbeuten und verzehren. Unklar ist dabei allerdings, wie gut man von im Kot gefundenen Flügeln, Füßchen und Köpfen von Futtertieren tatsächlich auf deren ursprüngliche Körpergröße schließen kann. Genauso können einzelne Beobachtungen sicher nicht auf das Nahrungsspektrum ganzer Chamäleonarten schließen. Sie sind aber schon mal ein Anhaltspunkt.

Interessant ist, dass die häufig anzutreffenden Gespenstschrecken (Phasmatodea) und Fangschrecken (Mantodea) scheinbar keine so viel genutzten Futtertiere für Chamäleons sind, wie man auf Grund ihres häufigen Auftretens annehmen könnte. Bei den Phasmatodea könnte das vor allem daran liegen, dass sie nachtaktiv sind und tagsüber von Chamäleons schlecht als Beute wahrgenommen werden. Schaben (Blattodea) findet man auf Madagaskar zwar ebenfalls häufig, durch ihre eher verborgene, lichtscheue Lebensweise enden auch sie aber wahrscheinlich nicht regelmäßig in Chamäleonmäulern. Die Vielfalt an Käfern, Zikaden und Wanzen dagegen scheint auf Madagaskar ein enormes Nahrungsspektrum für Chamäleons zu bieten. Die folgenden Fotos zeigen eine kleine (!) Auswahl des Nahrungsspektrums von Chamäleons auf Madagaskar.

Andere Wirbellose

Auf Madagaskar finden sich in nahezu allen Lebensräumen, die von Chamäleons bewohnt werden, auch Tausendfüßler (Myriapoda) und Hundertfüßer (Scolopendridae). Wir haben bisher noch nie beobachten können, dass diese von Chamäleons tatsächlich heruntergeschluckt werden. Kleinere Arten scheinen ab und zu eher zufällig geschossen zu werden. Da die meisten madagassischen Tausendfüßler jedoch über unangenehme, wenn auch harmlose Abwehrsekrete (Blausäure, Chinone) verfügen, dürften sie wieder ausgespuckt werden. Scolopendridae dagegen können enorm schmerzhaft beißen, weshalb sie wohl kaum regelmäßig gefressen werden. Bei Madagaskarleguanen konnten wir den Verzehr von Hundertfüßern auf Madagaskar beobachten, bei Chamäleons nicht.

Schnecken, vor allem Nacktschnecken, werden gelegentlich von Chamäleons geschossen. Beobachtet wurde dies schon bei Furcifer pardalis. Häufig gleitet die Zungenspitze jedoch an ihnen ab und sie können nicht aufgenommen und abgeschluckt werden.

Reptilien und Vögel

Es gibt aus Madagaskar einige anekdotische Berichte, bei denen Chamäleons kleinere Reptilien erbeutet und gefressen haben. Wir haben selbst schon wenige Mal beobachtet, wie adulte Calumma brevicorne und Furcifer oustaleti junge Geckos (Phelsuma ssp. und Lygodactylus ssp.) geschossen oder es versucht haben. Ein Furcifer oustaleti konnte 2000 von Gerardo García in Ankarafantsika beim Verzehr eines kleinen Vogels beobachtet werden. Es handelte sich bei dem Vogel wahrscheinlich um einen Madagaskarweber (Foudia madagascariensis). Ardi Abate berichtete bereits 1995 von Madagassen, die vom Verzehr kleiner Vögel durch Calumma parsonii parsonii im Nordosten Madagaskars berichteten. Es scheint sich bei solchen Beobachtungen aber eher um Einzelfälle zu handeln. Zumal große oder schlecht „schluckbare“ Beutetiere auch gerne wieder ausgespuckt werden. Madagassische Chamäleons scheinen sich hin und wieder zu überschätzen, was das Herunterschlucken zu großer Beutetiere angeht.

 

Kannibalismus

Ab und an kommt es unter Chamäleons auch zu Kannibalismus, das heißt ein größeres Chamäleon schießt ein kleineres als Beute. Vor allem Jungtiere fallen anderen Chamäleons zum Opfer. Wir haben dies schon bei Calumma parsonii parsonii beobachtet, in der Literatur wurde Kannibalismus ebenfalls bei Furcifer verrucosus und Furcifer pardalis gesehen. Fähig dazu sind aber wohl alle madagassischen Chamäleons.

Pflanzliches Futter

Furcifer oustaleti, das gerade einen Käfer geschossen hat

Von Chamäleons auf Madagaskar sind nur wenige Berichte bekannt, in denen die Aufnahme von Pflanzen beobachtet wurde. Wir selbst haben es noch nie auf Madagaskar gesehen. Der Biologe Hiroo Takahashi konnte in der Regenzeit 2008 drei verschiedene Furcifer oustaleti in Ankarafantsika beobachten, die alle drei Früchte von Pflanzen fraßen. Einmal biss ein adultes Männchen eine halbe Frucht eines Goldpflaumengewächses (Grangeria porosa) ab. Ein Jungtier fraß drei kleine Früchte von einem Rötgewächs (Chassalia princei). Ein weiteres, adultes Männchen schoss Früchte von einem Mahagonigewächs (Malleastrum gracilei). Takahashi testete dann mit 24 Furcifer oustaleti aus, ob diese lieber eine winzige Frucht oder lieber eine Lausfliege fressen würden. 13 der Chamäleons fraßen beides. Furcifer oustaleti scheint also zum Fressen bestimmter Früchte zu neigen. Auf Populationen in anderen Gegenden Madagaskars, auf das Verhalten in der Trockenzeit oder gar auf andere Arten von Chamäleons lässt sich dadurch leider noch nicht viel schließen. Wir konnten dieses Verhalten noch nicht selbst beobachten.

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